Schmetterling und Delphin gestickt
Sticken macht süchtig – ähnlich wie Häkeln oder Nähen. Aber viel schlimmer, denn in diesem Fall hat es ja mich getroffen. Das ist in sofern auch ungewöhnlich, als mein Beruf normalerweise der Feind jeder stupiden, monotonen Arbeit ist. Als Software-Entwickler mache ich Personen, die so eine Arbeit haben, von Berufs wegen überflüssig und ersetze sie durch Programme oder gebe ihnen Programme an die Hand, mit denen die Monotonie (die leicht zu Fehlern führt) weggeht. Tja… und ausgerechet ich war auf einmal heiß auf monotone Arbeit ohne viel Denken. Super! Das passt ja…
Mein erstes Stickprojekt war erstaunlich flott abgeschlossen (2 Abende) und ich hatte eine Menge Dinge über das Sticken gelernt. Da ich immer wieder zwischendurch Videos zum Thema angeguckt hatte, Bücher aus der Bücherei ausgeliehen hatte (es konnte doch nicht so einfach sein) und ich am Ende vertraut war mit den verschiedenen Stoffarten, Starttechniken und Spezialtechniken wie Parken, schleppte ich die Familie nach Landshut, um mit mir die dortigen Handarbeitsläden nach Stickzeug zu durchforsten. Zwar hatte meine Frau als Aussteuer diverse Stickutensilien in die Ehe gebracht, aber nachdem ich so viele Videos gesehen hatte, wo „die echten Profis“ natürlich ganz andere Hardware benutzten, wollte ich mal schauen, was man noch erwerben konnte.
Mir schwirrten sofort hunderte Ideen durch den Kopf, was ich machen und kaufen wollte. Die eine Frau im Film hatte einen Stickrahmen so groß wie ein Kleinwagen – muss ich haben. Die andere einen Schrank voller Garn – will ich auch. Und überhaupt will ich meiner Tochter einen Orka sticken und meinem Sohn einen Husky – wo gibt’s das? Nun… Landshut mag ja das niederbayerische Mekka der Nähfans sein, was Sticken angeht ist es allerdings weniger gut sortiert. Da hatte der Karstadt fast schon die größte Auswahl. Einzig ein kleines, unauffälliges Woll-Lädchen, aus dem man meine Tochter nie herausbekommt, da sie ja häkelt, hatte interessante Dinge.
Die Inhaberin stickt selbst auch und beantwortete geduldig all meine Fragen. Neue Besucher kamen, aber ich wurde weiterhin geduldig bedient. Gibt einfach zu wenige stickende Männer, als dass man sich ein Gespräch mit ihnen entgehen lassen sollte (kam mir zumindest so vor). Ich erwarb dort ein weiteres, sehr simples Stickset eines Schmetterlings, ein Buch mit Vorlagen von Tieren und zwei hervorragend bestickbare Stoffe (einen in weiß und einen in hellblau).
Mein nächstes Projekt war das gekaufte Stickset – eine absolut überschaubare Grußkarte, in die man einen gestickten Schmetterling klebt. Gut, geklebt habe ich da nichts, ich wollte ja nichts sinnvolles damit anstellen, außer das Motiv zu sticken. Nach knapp einer Stunde (länger dauert das wirklich nicht), war das Ergebnis dann… nun… vorhanden:
Warum reagiere ich also nicht überschwänglich? Anfangs war ich das auch, aber selbst ohne das Bild irrsinnig zu vergrößern, erkennt man, dass der Stoff, der bei diesem Set dabei war – ein qualitativ minderwertiger Leinen – absolut schlecht ist. Zum Einrahmen und An-Die-Wand-Hängen war das schon mal nichts. Aber gut, ich hatte wieder etwas gelernt.
Kurzer Exkurs zum Thema Sticken und Stoff: Grundsätzlich stickt man entweder auf Leinen (da gibt es dann qualitativ immense Unterschiede in der Homogenität) oder auf Aida. Letzteres ist das, worauf ich die Tigerente gestickt hatte. Aida wird ausschließlich zum Sticken hergestellt und je nachdem, wie eng die einzelnen Löcher beieinander sind, wird die Auflösung der Stickerei gröber oder feiner. Die hohe Kunst ist es, später dann auf Jersey die Kinder-T-Shirts zu besticken, allerdings macht man das auch nicht freihand, sondern legt ein spezielles Aida auf die eine und Stickvlies auf die andere Seite. Fazit: Auf Aida stickt man Dinge, die man an die Wand hängen will, auf Leinen die Sachen, die man auch benutzen möchte (spezielle bestickbare Handtücher und Waschlappen mal ausgenommen – die haben eine Aida-Struktur).
Nachdem ich also bisher nur fertige Sets gestickt hatte und deren Nadeln, Garne und Stoffe genutzt hatte, wollte ich nun unbedingt auch mal auf dem besseren Stick-Leinen, mit Anchor-Garn und Prym-Nadel im Stickrahmen loslegen. Ich suchte mir als Motiv den Delphin aus dem gekauften Büchlein mit den Vorlagen aus und legte los. Und wie das beim Sticken so ist, kann man gar nicht mehr aufhören. Allerdings merkte ich sofort den Unterschied zwischen den Fertig-Materialien und den selbstgekauften. Einfach unbeschreiblich. Auf einmal passt alles zusammen. Das Garn trennt sich wie von selbst in einzelne Stränge (auch so eine Sache, die ich vorher nicht wusste: man stickt gar nicht mit dem ganzen Garn, sondern mit einem oder mehreren der 6 Stränge aus denen das Garn besteht), die Nadel fädelt sich fast von selbst ein und flutscht nur so ans Ziel. Nach ein paar Stunden war dann auch mein Delphin fertig und auch hier sieht man schon ohne Herausholen der Lupe den Qualitätsunterschied zwischen dem Stickleinen aus Landshut und dem billigen Leinen aus dem Set:
Die Qualität des Stoffes und die gleichmäßigen Abstände der einzelnen Bahnen, machen dieses Ergebnis doch viel sehenswerter als der qualitativ minderwertige Leinen des Schmetterlings. Da beim Schmetterlings-Set allerdings die Farbbezeichnungen der benutzten Anchor-Garne vermerkt waren, werde ich ihn sicherlich noch das ein oder andere Mal sticken.
Jetzt fragt Ihr Euch vielleicht, was denn nun aus dem Sticktisch im Kleinwagenformat, der Tageslichtleuchte mit Knickarm, Lupe und all dem anderen tollen Zubehör geworden ist. Tja also… nach diesem Tag in Landshut ist mir klar geworden, dass weniger mehr ist. Ich habe tatsächlich nur Garne gekauft, die ich konkret für ein geplantes Projekt benötige. Ich habe nur Projekte geplant, die realistisch in einem überschaubaren Rahmen machbar sind und ansonsten nur ein paar Utensilien, wie z.B. eine Schere von Paul, da meine von meiner Frau geerbte Schere einfach nur miserabel geschnitten hatte an der Spitze. Ob das damit zusammenhing, dass ich damit mal in Knöpfen rumgepult hatte? Man weiß es nicht.
Ich habe es bis heute geschafft, mich zurückzuhalten, was Käufe angeht. Mein gesamtes Stickzeug passt immer noch in einen Schuhkarton und ich habe mir fest vorgenommen, dafür zu sorgen, dass ich mir keine Projekte aufdrücken lasse und irgendwann UFOs anhäufe, sondern das Sticken weiterhin als meine ganz persönliche, monotone, stupide Arbeit zu genießen. Ich sticke, was mir gefällt und wie ich gerade Lust habe. Wenn mir mal nicht nach Aida ist, dann auf Leinen, wenn mir nach spitzer Nadel ist, dann spitz. Hauptsache, es macht Spaß!
Schmetterling:
Alles: Kreuzstich-Packung „Spring“ von Rico Design
Delphin:
Motiv: Delphin aus Zweigart XXL-Kreuzstich III (No. 211)
Garn: Anchor 160, 161 und 403
Stoff: Stick-Leinen von Stenzenberger, Landshut
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